Arbeit gibt Menschen Würde

Philipp Schön

 

Heute Morgen sehe ich, dass Heinz*, ein Angestellter in einem geschützten Arbeitsverhältnis, nach längerer Absenz wieder in unserem Sekretariat arbeitet. Ich begrüsse ihn und frage nach, wie es ihm geht. Er antwortet kurz „besser“, wirkt dabei aber bedrückt. Auf Nachfrage stellt sich heraus, dass es ihn frustriert, dass er seine schweren Depressionen nicht kontrollieren kann. Er beschreibt, was er dabei durchlebt, und entschuldigt sich für seine Fehlzeiten. Arbeit, wie er sie früher geleistet hat, hat ihn krank gemacht. Wie viele andere sah er sich mit grossem Leistungs- und Erfolgsdruck und immer weiter steigenden Anforderungen gegenüber, denen er irgendwann nicht mehr genügen konnte. Dies zu hinterfragen und als Unternehmen und Gesellschaft zu definieren, welche Rolle Arbeit in unserem Leben spielen soll, finde ich wichtig. Denn der Preis, den Arbeitnehmer dafür bezahlen, erscheint mir teilweise zu hoch.

Heinz erklärt mir, dass er nach all den Jahren die Hoffnung aufgegeben hat, seine Depressionen in den Griff zu bekommen. Ich bedanke mich für seinen Einsatz und sage ihm, dass wir froh sind, dass er bei uns arbeitet. Und ich versichere ihm, dass wir die Hoffnung nicht aufgegeben haben und für ihn beten. Langsam kehrt Erleichterung in sein Gesicht zurück, und er erklärt mir, wie wichtig die heutige Arbeitsstelle für ihn ist: Sie gäbe ihm Stabilität, es seien Beziehungen entstanden, die bis zu gemeinsamen privaten Unternehmungen gehen, und das Verständnis seiner Vorgesetzten für seine Krankheit sei für ihn ein wichtiger Faktor. Arbeit im richtigen Mass gibt ihm heute Halt – und Würde.

Als Mitarbeiter einer christlichen Sozialunternehmung begegne ich täglich Menschen, die den Anforderungen des Arbeitsmarktes nicht mehr genügen und die aufgrund gesundheitlicher, sozialer, psychischer oder sprachlicher Einschränkungen – oder fehlender fachlicher Qualifikation - keine Arbeit finden. Viele würden gerne arbeiten, können bzw. dürfen jedoch nicht. Als Menschen sind wir von Gott beauftragt, diese Erde „zu bebauen und zu bewahren.“ (1. Mose 2, 15). Wir sind dazu geschaffen, etwas zu unternehmen, zu gestalten. Arbeit im Sinne von beruflicher Tätigkeit ist ein wichtiger Teil davon. Zu uns kommen jeden Tag Menschen, denen dies fehlt, und damit ein Stück Würde.

 Vor zwei Wochen war ich zu einem Erntedankfest des christlichen Vereins Hand & Herz in der FEG Kleindöttingen eingeladen. Dieser Verein ist vor sechs Jahren mit einer Lebensmittelabgabe gestartet. In den vielen diakonischen Angeboten, die seither entstanden sind, arbeiten mittlerweile rund 30 Freiwillige mit. Ein Teil dieser Freiwilligen sind Migranten, die früher als Bezüger zur Lebensmittelabgabe gekommen sind. Heute schleppen sie die Kisten der Tischlein deck dich-Lieferungen selbst, sortieren Gemüse, Joghurt & Konserven und bedienen die Bezüger mit einem Strahlen im Gesicht. Sie tun dies freiwillig, die Tätigkeit gibt ihnen Sinn – und Würde.

Petrus fordert uns auf: „Dient einander als gute Verwalter, jeder mit der Gabe, die er empfangen hat.“ (1. Petrus 4,10) Für mich bedeutet das, meine eigenen Fähigkeiten zu kennen und sie zu Gottes Ehre einzusetzen. Ich habe das Vorrecht, dass Arbeit für mich Berufung ist, ich meine Gaben voll einbringen kann und erst noch eine grosse Sinnhaftigkeit empfinde. Gleichzeitig versuche ich die Ressourcen anderer zu erkennen und ihnen ihr Potential aufzuzeigen. Heinz macht einen tollen Job bei uns, wenn er da ist. Er hat Fähigkeiten, die gebraucht werden. Die ehemaligen Flüchtlinge, die sich bei Hand & Herz engagieren, wollen keine Opfer oder Bedürftige sein, sondern mit ihren Ressourcen einen Beitrag leisten. Toll, dass Hand & Herz und viele andere diakonische Initiativen dies erkannt haben und Menschen eine Arbeits- oder Beschäftigungsmöglichkeit anbieten. Sie geben ihnen Hoffnung - und Würde.

 

*Name aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes geändert.

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