Extra-Meile, echt jetzt?!
Pilgern ist ja anscheinend voll im Trend. So trendy wie ich eben bin, habe auch ich bereits einige Etappen des Jakobwegs in der Schweiz gemeistert. Tatsächlich habe ich mich in meinem letzten Pilgerabenteuer 5 Tage alleine auf den Weg gemacht, mit dem Ziel, Menschen, denen ich auf dem Weg begegne, zu dienen. Sei es, einem Pilger oder Pilgerin ein ermutigendes Wort zuzusprechen, einem Bauern beim Misten zu helfen oder mit jemandem mein Tutti-Frutti zu teilen. Meine Absicht war, Gutes zu tun.
Und rate mal, was passiert ist. Ich bin tatsächlich 3 Tage unterwegs gewesen, ohne irgendeine Person auf dem Weg anzutreffen! Und ich bin durch 2 Kantone marschiert. Schlimmer noch, anstatt dass ich Menschen helfen konnte, bin ich mit meinen eigenen Grenzen und schmerzenden Hüftgelenken konfrontiert worden. Eine Nacht habe ich bei Freunden von mir verbracht. Ich kam als ein Häuflein Elend bei ihnen an. Der erste Akt war, ab in die nächste Apotheke und Perskindol en masse einzukaufen. Liebevoll hat mich das befreundetet Paar aufgepäppelt und ermutigt, weiterzulaufen. Soviel zum Thema anderen zu Dienen.
Am 4. Tag hatte ich die Wahl, zwischen einer Abkürzung oder dem längeren Weg über einen Hügel. Mit mir selbst diskutierende habe ich mich für den längeren Weg entschieden. Es war zwar Oktober, aber mit 25°C und stahlblauem Himmel habe ich mich schwitzend und murrend die Kuhweide hochgequält. Auf dem halben Weg habe ich mich gefragt, warum der richtige Jakobsweg diesen doofen Hügel überqueren muss? Einmal hoch und wieder runter. Dumme Pilger! Oben angekommen, natürlich nicht gerade in bester Laune, bin ich im einzigen Laden weit und breit eingekehrt und habe mich mit Proviant eingedeckt. Ganz mit mir selbst beschäftigt hat mich die Verkäuferin angesprochen. Sie wollte wissen, warum ich mit einem so grossen Rucksack bei ihnen durchs Dorf laufe. Ich hatte ein super ehrliches, tiefes und ermutigendes Gespräch mit ihr. Als ich wieder draussen war, wusste ich, für dieses Gespräch hat sich der Kampf mit dem Hügel gelohnt. (Ich bin mir immer noch unsicher, ob ich die Karte falsch gelesen habe, da die Verkäuferin nichts von dem Jakobsweg wusste, der anscheinend durch ihr Dorf führte.)
Dieses prägende Erlebnis ist für mich ein Sinnbild, wenn es darum geht, soziale Projekte umzusetzen. Warum?
1. Die Vision; das Vorhaben ist klar. Die Umsetzung davon passiert jedoch vielleicht anders, als man sich ursprünglich ausgemalt hat. Hier braucht es die Offenheit und Flexibilität, sich Umständen anzupassen und aktiv zu Gestalten.
2. Es braucht Biss und Durchhaltewillen!
3. Schmerzen gehören dazu. Gerne nenne ich diese Wachstumsschmerzen (Hallo Beinmuskeln!)
4. Auch "nur" ein Mensch ist es wert! Rückblickend habe ich gemerkt, dass es mir am Anfang vielleicht auch mehr um mich und meine Absicht ging, als um die Personen selbst. Es geht aber nicht um die Stories, die ICH dann erzählen kann. Sondern um die Menschen, die vielleicht dank meinem Kämpfen einen Teil ihrer Geschichte schreiben können.
5. Hügel sind doof. Ich sehe nicht automatisch alle Herausforderungen als positive Lernkurven an. Und trotzdem sind es gerade diese Herausforderungen, die Gold hervorbringen können.
Wenn du dich etwas mit meinem Erfahrungen identifizieren kannst, wünsche ich dir, dass du voll Mut, Biss und Freude deinen Weg gehst. Es lohnt sich Hügel hinaufzuklettern und zu bezwingen. Man weiss nie, wem man oben begegnet!
PS: Freunde und Weggefährten sind echt grossartig. (Danke Michael und Sibylle fürs Aufpäppeln)